Zwischenorte

Deutschland ist ja ein ziemlich aufgeräumtes Land. Hier herrscht ganz überwiegend Ordnung in der Landschaft, zumal im Südwesten, den ich seit geraumer Zeit mein Zuhause nenne.

Wie sauber und aufgeräumt, ja: langweilig, vieles in unserer alltäglichen Umgebung ist, fällt einem erst dann auf, wenn man durch Zufall (oder auch aus Absicht) an Orte gelangt, die einen anderen Charakter haben. Die irgendwie anders sind, fremd und doch vertraut, abweisend und einladend zugleich. Die sich der Ordnungswut und dem Sauberkeitswahn der Menschen entzogen haben. Die leer erscheinen, denen aber dennoch Leben innewohnt. Die weder Kultur noch Natur sind (wobei diese Gegenüberstellung ohnehin diskussionswürdig ist), sondern ein Hybrid aus beidem. Die einen ganz eigenen Reiz besitzen, auch wenn sie sicher nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Die bunt und spontan sind und mit Überraschungen aufwarten. Zwischenorte eben.

Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich mich durchaus regelmäßig an derartigen Orten aufhalte. Auf der Suche nach Insekten und anderem Getier bewege ich mich auf Bahnanlagen, in Industriege- und Gewerbegebieten, in Brachen am Rand von Wohnsiedlungen, an der Autobahn, natürlich auch in der Feldflur zwischen Maisäckern und Viehweiden.

Lasst es mich so formulieren: Meine Freizeit würde ich dort nicht unbedingt verbringen. Aber wenn der Zeitplan es einmal zulässt, lasse ich gerne den Blick schweifen und versuche, die manchmal etwas verborgene Ästhetik zu entdecken. Und glaubt mir, es gibt sie!

Als ich mich vergangene Woche für einige Stunden in einem Industriegebiet östlich des Schwarzwalds herumtreiben durfte, war gerade Samstag und wenig los. Am Himmel – man sieht es auf obigem Foto – drängten sich die Wolken, aber dennoch schien die Sonne. So ein unentschiedenes Zwielicht, nicht hell, nicht dunkel, weder Licht noch Schatten – absolut die passende Atmosphäre für diese ganze Umgebung. Alles wirkte so unwirklich und zugleich hyperreal. Ich fand es bemerkenswert und habe mehr als einmal meine Handykamera bemüht.

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Übrigens: meine Aussage, dass Deutschland im Allgemeinen ein sehr aufgeräumtes Land ist, sollte ich doch noch ein bisschen differenzieren. Denn in einem Industriegebiet wie dem hier gezeigten fühle ich mich manchmal ganz unvermittelt an Gegenden im Osten Deutschlands erinnert, wo ich ja immerhin auch einige Jahre gelebt habe. Ob im Umland von Berlin oder von Leipzig, Dresden, im ländlichen Thüringen oder Sachsen-Anhalt – immer wieder trifft man auf Orte, die verlassen wirken oder gar „tot“, die aber auf andere Art von Leben erfüllt sind. Sie sind nicht durchgestylt und bis auf den letzten Quadratmeter genutzt, sondern es gibt Raum für ungeplante und spontane Entwicklungen.

Irgendwie vermisse ich den eigenartigen Flair dieser Orte.

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So, jetzt aber genug am Schreibtisch gesessen und in die Tasten gehauen. Raus ins Gelände und die nächsten Zwischenorte aufgestöbert!

Veröffentlicht von Sebastian

Geographer, naturalist and photographer (www.schroeder-esch.de). Based in Germany, but always keen to travel and explore

3 Kommentare zu „Zwischenorte

  1. Eine von mir sehr geschätzte Fotografin hat neulich zu mir gesagt „Gute Bilder müssen nicht schön sein“. An dieses Satz musste ich gerade denken, als ich deinen Artikel gelesen habe. Ich würde mir keines der Bilder zu Hause an die Wand hängen, aber sie unterstreichen und verstärken wunderbar die Aussage deiner Geschichte. Man kommt sich fast vor wie in den 80-iger Jahren, als alles noch ein wenig bescheidener und auch ärmlicher war. 
Passt gut zu deinem Blog „Ein nutzloser Fund“

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