sogesehen – Monatsfoto Juli 2023

Buchenwald an der Ostseeküste

Ich glaub‘, ich steh‘ im Wald

Das höre auch ich gelegentlich. Erstaunlicherweise meistens von Menschen, die gerade nicht im Wald stehen.

Diese Erkenntnis regt mich an, darüber nachzudenken wie es mir eigentlich geht, wenn ich wirklich im Wald stehe.

Im Wald angekommen, atme ich oft erst mal tief durch.
Es ist frischer, es riecht besser, es ist ruhiger als draußen.
Eine Welt für sich.

Wenn ich dann wirklich angekommen bin im Wald, erkenne ich, daß all diese Bäume um mich herum nicht bloß irgendwelche Dinger sind, die man zu Tischen oder Bänken, Betten oder Särgen, Streichhölzern oder Brennholz, Geldscheinen, Klopapier oder was auch immer verarbeiten kann. Oder in die man Initialen und Herzen schnitzen darf.
Mir wird klar, daß jeder einzelne Baum ein eigenständiges Lebewesen ist. Mit seinem ganz eigenen Recht aufs Leben und seinem ganz eigenen Willen zu leben. Einfach deshalb, weil er da ist.
Wenn ich dann eine Weile im Wald stehe, schaue, höre, spüre, erlebe ich manchmal eine Verbindung. Von mir zu den Bäumen? Von den Bäumen zu mir? Laden sie mich ein, sie zu berühren, ihre Rinde zu spüren, mich an sie anzulehnen, ihre Ruhe und Stärke zu spüren, an ihnen empor zu schauen?
Oder ist das alles nur sentimentale Gefühlsduselei?

Aber, wenn ich mich mal wirklich darauf einlasse, im Wald zu stehen, erkenne ich, daß die Bäume uns Menschen einiges zu zeigen haben.
Als Baum kann man zum Beispiel nicht mal eben kündigen oder umziehen, wenn das Umfeld nicht stimmt. Sondern man muß schauen, was man an Kraft, Energie und Lebensfreude aus dem ziehen kann, was man hat und wo man ist. Ich finde es faszinierend und auf ganz eigene Weise tröstlich zu sehen, auf was für widrigen Untergründen Bäume Wurzeln schlagen, wachsen und leben können.
Noch beeindruckender: Wie viele Bäume habe ich schon gesehen, die mit schwersten Verletzungen trotzig weiterleben, vielleicht nach dem Motto: „Es ist, wie es ist. Jetzt mache ich erst mal weiter. Sterben kann ich immer noch, wenn es so weit ist.“

Bevor jetzt alles zu philosophisch wird, lauert hinter dem nächsten dicken Stamm gleich wieder die harte Wirklichkeit mit der unbequemen Frage: „Wie fühlt sich eigentlich der Baum, wenn am Sonntag der Schreiner freundschaftlich neben ihm steht, und am Montag seine Freunde über die Kreissäge schiebt??“

Unvermeidbar ist das Leben ziemlich vielschichtig und widersprüchlich…

P.S.: Für alle, die es nicht wissen: Im Hauptberuf bin ich Schreiner.


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3 Kommentare zu „sogesehen – Monatsfoto Juli 2023

  1. Hallo Oliver, danke für das schöne Monatsfoto und deinen schönen Artikel dazu. Es hört sich fast an wie eine Hommage an den Wald bzw. die Bäume. Mir geht es ähnlich wie dir… Sobald ich im Wald angekommen bin, muss ich auch erst einmal tief durchatmen. Es ist einfach ein herrlicher und gleichzeitig lehrreicher Ort. Dieser zeigt einem das Leben sowie die Vergänglichkeit auf. Danke für den tollen Beitrag! 🙂

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  2. Hi Oliver. Danke für dein Monatsfoto. Das ist richtig klasse. Ich kenne das Gefühl von innehalten und dem nachspüren was um einen ist. Den Duft und die Geräusche in sich aufnehmen. Das hat was sehr erdendes und dafür ist der Wald genau der richtige Ort. Nochmals vielen Dank für deinen Artikel

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