Es ist Samstag, und unser Aufenthalt in Estland geht langsam seinem Ende entgegen. Der Großteil unserer Gruppe hat sich bereits auf den Rückweg nach Tallinn gemacht. Nur wir vier treten erst morgen die Heimreise an, denn uns steht noch ein ganz besonderer Tag (und eine kurze Nacht) bevor. Getreu dem Motto „Das Beste kommt zum Schluss“ fiebern wir aufgeregt den nächsten Stunden entgegen.
„Wir“, das sind Inge, Sabine, Stefanie und Sebastian. Allesamt kommen wir aus dem Südwesten Deutschlands, und uns verbindet die Freude an der Natur und der Fotografie.

Da unser Hauptprogramm erst am frühen Abend beginnt, lassen wir den Tag gemütlich angehen und nutzen die Zeit für einen fotografischen Spaziergang durch den Urwald von Oandu im Lahemaa-Nationalpark. Ehrlich gesagt haben wir uns einen Urwald etwas anders vorgestellt, weniger aufgeräumt und nicht so offensichtlich von Menschenhand gemacht. Aber je weiter wir in den Wald reingehen, desto wilder wird es, und auch die passionierten Pilzfotografinnen unter uns kommen schließlich voll auf ihre Kosten!

So vergeht die Zeit wie im Flug, und wir müssen uns beeilen, um rechtzeitig am späten Nachmittag am Treffpunkt mitten im Nirgendwo, tief in einem Wald im Osten Estlands, anzukommen. Dort werden wir von Kärt, einer Mitarbeiterin von NatourEst, empfangen, und nach einem Fußmarsch von knapp zwei Kilometern haben wir unser Ziel für die Nacht erreicht.
Bevor sich Kärt wieder auf den Rückweg macht und uns allein in der Hütte zurücklässt, erklärt sie uns noch die wichtigsten Regeln: Nur leise sprechen! Keine lauten Geräusche machen! Kein Licht! Und die Hütte nicht vor acht Uhr morgens verlassen!




Ein bisschen mulmig wird uns schon, als hinter uns die Türe zugeht und wir spüren, wie die Anspannung steigt. Solange es noch hell ist, nutzen wir die Zeit, um unsere Siebensachen auszupacken und uns auf die Nacht vorzubereiten. Irgendwann ist alles bereit. Dann heißt es nur noch: schweigen, beobachten, warten.




Es ist ganz schön was los im Wald, zunächst vor allem noch diverse Vögel, aber auch mehrere Marderhunde. Und so teilen wir uns auf, dass immer zwei Personen jeweils eine der beiden Fensterfronten überwachen, um ja nichts zu verpassen. Das Licht wird langsam schwächer, und die ISO-Werte unserer Kameras steigen in den fünfstelligen Bereich. Haben wir uns anfangs noch angeregt im Flüsterton unterhalten, kehrt nun auch bei uns eine gespannte Stille ein.
Plötzlich wird am Waldrand am anderen Ende der Lichtung ein dunkler Fleck sichtbar, der sich allmählich auf uns zubewegt….





Es ist unglaublich und irgendwie unwirklich. Man schaut aus dem Fenster, und da läuft doch tatsächlich ein Braunbär in freier Wildbahn an einem vorbei. Phänomenal!
In den nächsten Stunden bekommen wir immer wieder Besuch von Bären (mindestens ein Tier, eventuell auch zwei), einer ganzen Marderhund-Familie, einem Wildschwein und einem Dachs. Allerdings ist es sowohl im Wald als auch in der Hütte stockdunkel, so dass Fotografieren kaum mehr möglich ist. Glücklicherweise verziehen sich die Wolken, und der Vollmond kommt zum Vorschein. An gute Fotos ist bei dem schwachen Licht zwar nicht mehr zu denken, aber die Bilder in unseren Köpfen werden für immer bleiben.




Inge:
Wow, ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einen Bären in der freien Natur sehen werde. Natürlich trennen den Bären und uns die Wände und Fenster des Hides, dennoch fühlt es sich unbeschreiblich an. Ein bisschen mulmig wird mir schon, als er in unsere Richtung läuft. Doch er lässt sich von uns nicht stören und macht ruhig sein Ding.
Ich genieße die Spannung beim Warten auf ein weiteres Tier – egal ob Bär oder andere Waldbewohner, die Ruhe und Geräusche, die durch die Lautsprecher im Hide zu hören sind. Eine lange Nacht mit vielen Eindrücken, die ich so schnell nicht vergessen werde.
Sabine:
Was für ein Gefühl, zu erleben, wie ein wilder Bär im Wald zwischen den Bäumen auftaucht und dann in unsere Richtung auf die Lichtung kommt. Unglaublich faszinierend und zugleich unwirklich; erleben wir das tatsächlich? Kurz hat man den Eindruck er hält inne und sieht uns direkt an… Dabei sind wir es, die den Atem anhalten! Tapsig und zugleich majestätisch umrundet er unsere Schutzhütte und ist für kurze Zeit aus unserem Sichtfeld verschwunden. Wir hören nur noch seinen Atem, den die Außenmikrofone in unsere Hütte übertragen – Gänsehaut pur!
Für mich war es ein ganz besonderes Wildtier-Erlebnis, spannend und friedlich zugleich! Neben dem kurzen Dachs-Besuch war der Bär natürlich mein absolutes Highlight. Nur die Elche blieben leider im Verborgenen… ein Grund zurückzukehren in den Norden.
Sebastian:
Ein lang gehegter Traum geht endlich in Erfüllung – einen Braunbären in freier Wildbahn zu sehen, ist einfach großartig. Es ist schon klar, dass das Tier (oder waren es gar mehrere?) nicht einfach so vor unserer Hütte auftaucht, sondern dass dort draußen auch irgendwo gezielt Futter ausgelegt worden ist. Aber das Verhalten von “Meister Petz” scheint natürlich zu sein, einschließlich einer gewissen Nervosität. Und wie er da im silbern schimmernden Licht des Mondes auf der Suche nach Essbarem seine Kreise um unsere Hütte zieht, das ist unvergesslich.
Stefanie:
Was für ein Erlebnis!
Damit meine ich nicht nur meine erste Begegnung mit den Bären, sondern auch die Nacht in der Hütte an sich. Wir waren ein tolles kleines Team, mit dem es sehr viel Spaß gemacht hat, sich die dunkle Nacht um die Ohren zu hauen. Stundenlang in den dunklen Wald hinaus zu schauen, zu warten und nicht zu wissen, was das Mondlicht uns zeigen wird, das war aufregend und spannend. Da nimmt man eine fast schlaflose Nacht auch mal gerne in Kauf 🙂
Alle Beiträge über unsere Estlandreisen könnt ihr hier nachlesen.
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Auch deine Familie in der Ferne hat es vor Spannung 🐻😮kaum ausgehalten🤪liebe Grüße Kati ❤️
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Das glaube ich gerne, welch unglaubliches Erlebnis das gewesen sein muss.
Beneidenswert. Und zugegeben: Beneidenswert auch die Geduld, sich in solche Beobachtungshütten zu setzen und zu warten, und zu warten und zu warten.
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Geduld zählt normalerweise nicht zu meinen persönlichen Stärken, aber ich fand diese Nacht in der Hütte so spannend, dass die Zeit wie im Fluge vergangen und überhaupt keine Langeweile aufgekommen ist.
Danke für deinen Kommentar 🙂
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Wow. So einen Bären in freier Wildbahn zu sehen würde mir auch sehr gefallen. In deinem Bericht kann man eure Erwartungen und die die Anspannung regelrecht herausspüren. Klasse.
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Das hätte dir definitiv gefallen, Horst!
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Bestimmt 🙂
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Liebe Steffi,
vielen Dank und herzliche Gratulation zu deinem tollen Blog 😍. So wie du und ihr es beschreibt, hat man fast das Gefühl, selbst dabei zu sein.
Hammer Fotos 💪👍. Ich kenne das Gefühl, quasi Auge in Auge bzw. Objektiv mit so einem tollen Tier zu sein. Diese Begegnung ist ein unglaubliches Erlebnis.
Gratulation!!!!
Beste Grüße
Hubert
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Danke Hubert und ich gebe die Komplimente gerne an meine Mitschreiber*innen weiter.
Liebe Grüße Steffi
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Das war’s wieder Super Beitrag.Mit der Gedanken ;ich war überall mit euch.
Liebe Grüße aus Avanos.
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Einfach nur „WOW“!!
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