– Einzelhaft – Eine fotografische Recherche in Bautzen II

Waren Sie schon mal im Gefängnis? Hoffentlich nicht. Es sei denn, Sie haben den Schlüssel.

Im Rahmen eines künstlerischen Erinnerungsprojektes durfte ich das ehemalige Stasi-Gefängnis in Bautzen sehr genau kennen lernen. Eines Tages bekam ich den Schlüssel des Gefängnisses und durfte gemeinsam mit einem Kollegen einen ganzen Abend und Teile der Nacht allein im Gefängnis verbringen. Wir waren auf der Suche nach den Klängen des Hauses. Nebenher fotografierte ich in den seit Jahren verschlossenen Zellen und Funktionsräumen vom Dachboden bis zum Keller.

Ausgeräumte Zelle

Bautzen II war ein Isolationsgefängnis. Zahlreiche Häftlinge wurden dort in Einzelhaft gehalten. Selbst die Hofgänge wurden allein absolviert. Ein ausgeklügeltes Ampelsystem sollte verhindern, dass sich Häftlinge auf den Gängen des Gefängnisses begegneten.

Minihöfe für den Freigang der Häftlinge. Auch hier blieben sie isoliert.

Die Häftlinge waren allein in der Zelle. Dennoch wurden sie abgehört. So lauschten die Häftlinge auf die Geräusche der Bewacher und der Welt außerhalb des Gefängnisses und die Bewacher auf die Lebensäußerungen ihrer Gefangenen.

Wechseslsprechanlage

In Bautzen II saßen vor allem Systemgegner, Spione, prominente Gefangene und andere politische Häftlinge der DDR. Von hier ging es oft nach einigen Jahren direkt in den Westen, wenn man nicht für den Rest des Lebens hier eingesperrt blieb.

Stillleben

Das Gefängnis lag mitten in einem Wohngebiet und kaum jemand wusste, worum es sich bei dem Gebäude eigentlich handelt.

Der Ort bot sich regelrecht dafür an, auch Bilder mit einer Retro-Kamera aufzunehmen.

In den 80er Jahren wurden aber einigen Gefangenen auch Haftvergünstigungen ermöglicht.

Die Räume des Wachpersonals waren noch weitgehend unverändert. Es hingen sogar noch die Uniformen in den Spinden, Papiere lagen auf den Tischen und vertrocknete Topfpflanzen kündeten davon, dass hier seit Jahrzehnten niemand mehr die Räume betreten hatte.

Verblichene Grüße eines untergegangenen Unrechtsstaates an der Wand des Gefängnisses
Bautzen II – Ein guter Ort, um über Freiheit nachzudenken.

Veröffentlicht von tomritschel

Mit 8 sollte ich mir eine AG in der Schule auswählen. Kaum jemand wollte in die AG Foto. Dann eben ich. Ausgerüstet mit einer nagelneuen Beirette bin ich dann einmal wöchentlich bei Herrn Braun aufgekreuzt und habe Filme entwickeln und Fotos vergrößern gelernt. Und habe mich dabei mit dem Fotovirus angesteckt. Viele Jahre später habe ich dann die analoge Mittelformatfotografie entdeckt und den Reiz, auf den Straßen Motive zu finden. Inzwischen fotografiere ich mit alle, was Bilder macht und ohne Festlegung auf ein Genre. Einfach, weil es so viel Spass macht und jedes Bild eine Erinnerung in sich trägt.

5 Kommentare zu „– Einzelhaft – Eine fotografische Recherche in Bautzen II

  1. Tom, was für ein Beitrag! Deine Bilder verstärken das beklemmende Gefühl, welches man bekommt, wenn man deine Worte liest. Mir fällt es schwer, Wörter wie „Super“, „Klasse“ ect. für den Kommentar zu verwenden, da das Thema dafür zu ernst und mit zu viel Leid verbunden ist.
    Danke dafür, dass Du uns Geschichten schreibst und Fotos zeigst, die nachdenklich machen und berühren.

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  2. Hab mir eben den Artikel in aller Ruhe durchgelesen und Gänsehaut bekommen. Wirklich sehr interessanter Beitrag! Die Fotos bringen so viel Emotionen hervor. Wahnsinn!

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