Rundflug wider Willen

Die Vogesen sind ein tolles Mittelgebirge. Dem nahen Schwarzwald ähneln sie in einiger Hinsicht, haben aber doch auch ihren eigenen Charakter, sind rauher und muten ursprünglicher an. Einen Ausflug sind sie immer wert, und man kann sich auf intensive Erlebnisse freuen.

Wobei: „freuen“ ist ein Begriff, bei dem es auf die jeweilige Perspektive ankommt. Er trifft vielleicht nicht immer ganz zu. Jedenfalls nicht, wenn man eine Heuschrecke ist.

Lasst mich das kurz an einem Beispiel erläutern:

Die Turmfalken-Familie mit den flüggen Jungvögeln liebt das Spiel mit dem Wind rund um den Hohneck in den Hochvogesen. Ständig lassen sich die Falken auf und ab treiben, unternehmen rasante Sturzflüge über den Felsen, jagen sich spielerisch hinterher.

Die viele Bewegung an der frischen Luft – davon wird man irgendwann ganz schön hungrig. Wie gut, dass da unten am Hang eine Wiese voller gut genährter Wanstschrecken ist.

Tja, was nun folgt, ist eine Begegnung der unerfreulichen Art aus Sicht der Wanstschrecke (Polysarcus denticauda). Wie ihr Name schon vermuten lässt, ist sie nämlich nicht der Flinksten eine, sondern sitzt ganz gerne mal reglos in der Feuchtwiese. Leichte Beute für einen hungrigen Turmfalken mit dem sprichwörtlichen scharfen Blick und der Fähigkeit zu blitzartigen, wendigen Flugmanövern.

Die Wanstschrecke (übrigens ein Weibchen, wie man am langen Legebohrer erkennt) wird hoch in die Lüfte gehoben und noch im Flug verspeist. Da bleibt keine Zeit, um noch einen letzten Blick auf das beeindruckende Bergpanorama der Vogesen zu werfen.

So hat sie sich diesen Sommertag in den Vogesen sicher nicht vorgestellt. Die Turmfalken jagen weiter.

27. Juli 2024
Sebastian Schröder-Esch
(www.schroeder-esch.de)


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Veröffentlicht von Sebastian

Geographer, naturalist and photographer (www.schroeder-esch.de). Based in Germany, but always keen to travel and explore

5 Kommentare zu „Rundflug wider Willen

  1. Hier hatte nicht nur der Turmfalke einen scharfen Blick, sondern auch der Fotograf!
    Nie und nimmer hätte ich gesehen, dass der Turmfalke eine Beute zwischen seinen Fängen hatte und somit hätte ich auch verpasst, diesen Moment mit meiner Kamera einzufangen. Danke Sebastian, für die kleine Geschichte und die tollen Bilder aus dem Alltag des kleinen Greifvogels.

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    1. Vielen Dank, Steffi! Ehrlich gesagt, wollte ich in der Situation vor allem den Turmfalken bei seinen Flugspielen „einfangen“ – der Rest hat sich einfach so ergeben. Ich habe das so auch noch nicht beobachtet (was nicht zuletzt daran liegt, dass die Wanstschrecke eine ziemlich seltene Art ist!).
      Auf meiner Speicherkarte haben sich noch mehr Aufnahmen gefunden, die den rabiaten Umgang des Vogels mit dem Insekt zeigen – die habe ich aber aufgrund des Gruselfaktors mal lieber weggelassen, sonst muss ich noch ein „Trigger Warning“ vor den Artikel stellen…

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  2. Wunderbare Fotos vom Turmfalken, den ich vor allem als geschickten Mäusefänger kenne. Und wie mich der Legestachel fasziniert hat, danke für diesen HInweis Sebastian.

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