Die größte Vogelart Europas, und noch dazu eine der seltensten – das ist der imposante Bartgeier, dessen Flügelspannweite bis zu 2,80 Meter beträgt. Dank diverser Programme zur Nachzucht und Aussiedlung gelingt es in den letzten Jahren, diesen auf den Verzehr von Knochen spezialisierten Aasfresser in verschiedenen Gebirgsmassiven Europas nach Jahrzehnten der Abwesenheit wieder heimisch werden zu lassen.
Preisfrage: Warum war er denn überhaupt so selten geworden und vielerorts komplett verschwunden? Einen Hinweis darauf gibt der alte, volkstümliche Name „Lämmergeier“. Angeblich hat sich der Bartgeier nämlich an Vieh vergriffen und sogar bisweilen ein Menschenkind als Beute entführt. Kompletter Nonsens. Aber leider Grund genug, ihn gezielt zu bejagen und auszurotten. So ganz ist dieser dämliche Irrglaube noch nicht verschwunden, noch immer wird dem Bartgeier leider von manchen Leuten nachgestellt. Aber für viele Naturinteressierte ist er inzwischen ein zu schützender Sympathieträger, und die Population wächst stetig an.
Ein sehr zuverlässiger Ort für die Beobachtung von Bartgeiern in den Alpen ist der Gemmi-Pass im Schweizer Wallis. Von ihm war hier schon mehrmals die Rede (z.B. hier und hier). Vor allem im Winter lassen sich die Vögel häufig und bei tollen Lichtbedingungen sichten – wenn nämlich die hochalpine Schneedecke die Helligkeit der Sonne und des Himmels so reflektiert, dass die gigantischen Vögel von unten angestrahlt werden. So wie der hier abgebildete voll ausgefärbte Altvogel (mit namengebendem Bart!) im Januar 2024.
Dass die Beobachtung von Bartgeiern jedoch auch dort nicht garantiert ist, jedenfalls nicht aus der Nähe – diese leidvolle Erfahrung musste ich selber vor zwei Wochen machen, als ich mit einer kleinen Reisegruppe anderthalb Tage auf der Gemmi verbrachte. Trotz bester Wetterbedingungen ließ sich der Geier (evtl. auch zwei) nur auf größte Entfernung als kleiner Punkt weit untem im Tal ausmachen, und das gleich mehrfach. Unter den allesamt leicht frustrierten Geierfreunden oben auf dem Pass (darunter auch viele Locals, die für den Tag hochgekommen waren, alle mit reichlich Optik im Gepäck) kursierte daraufhin die Vermutung, dass sich dort unten ein Kadaver befand, somit eine ergiebige Futterquelle für die Vögel, weshalb sie gar nicht mehr woanders suchen mussten. Das wäre immerhin eine positive Erklärung. Ungeachtet dessen freue ich mich schon jetzt auf die nächste Begegnung mit einem meiner Lieblingsvögel!

1. Februar 2025
Sebastian Schröder-Esch
(www.schroeder-esch.de)
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Was für ein Foto. Diese Vögel sind schon sehr faszinierend. Danke für den Bericht dazu 👍
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Vielen Dank, Horst!
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