Ich für meinen Teil stelle immer mehr fest, dass ich einen reduzierten Stil in der Fotografie mag. Es muss nicht alles gegenständlich oder auch nur scharf sein, Linien oder andere Elemente im Bildausschnitt dürfen gerne mal nur angedeutet sein – weniger ist aus meiner Sicht oftmals mehr. Und bekommen vermeintlich „leere Flecken“ manchmal nicht vielleicht gerade dadurch eine Bedeutung, dass sie nichts zeigen und somit dem Betrachter Rätsel aufgeben?
Das hier gezeigte Foto von der Brücke über die Narew in Polen ist für mich so ein Fall, aufgenommen 2017 bei Strękowa Góra im wunderschönen Nordosten des Landes. Mir war frühmorgens der Job zugeteilt worden, Milch, Eier und Brot fürs Frühstück beim kleinen Lebensmittelladen im Nachbarort zu holen. Ich war zeitig hingefahren, nur um festzustellen, dass das Geschäft erst später öffnete und ich noch etwas warten musste. Was tun? Naja, ein bisschen rumspaziert, Vögel beobachtet, auf die träge dahinfließende Narew geschaut. Was man halt so macht, wenn man Zeit zu überbrücken hat. Einen Fotoapparat hatte ich nicht dabei, sondern nur mein einfaches Handy. Die Brücke war kaum befahren an dem Morgen, dort ist auch wirklich tiefste podlassische Provinz.
Ich schaue also ein bisschen in der spätwinterlichen Gegend herum und werde dabei zunehmend melancholisch. Irgendwie überträgt sich die leicht trostlose Stimmung dieses Ortes auf mich, was mich aber auch nicht weiter stört. Ist halt einfach so. Dann zieht auch noch diese Nebelbank über dem Fluss auf. Alles wird plötzlich so milchig und ohne Konturen, man sieht nicht mal mehr das andere Narew-Ufer. Aber zugleich ist irgendwie doch alles stimmig. Eine Brücke, die ins Nichts führt, ist natürlich ein Unsinn, aber sie lässt einen auch über vieles sinnieren. Also am Ende doch kein Nichts?
Mir kommt sogar der Gedanke, dass diese Szenerie ein Sinnbild für die politische und gesellschaftliche Situation in Polen ist. Es gibt eine Bewegung in einer bestimmten Richtung, den Versuch eines Umbruchs, irgendetwas soll überwunden werden. Doch das Ziel ist vollkommen vernebelt, und niemand weiß, was einen dort erwartet.
Irgendwann sehe ich aus dem Augenwinkel, dass es rund um das Lebensmittelgeschäft geschäftig wird. Einige Männer, die geduldig vor verschlossener Türe gewartet hatten, gehen jetzt hinein und besorgen sich ein paar Biere für den Start in den Tag. Ich lasse ihnen den Vortritt und arbeite dann selber meinen Einkaufszettel ab. Das Frühstück später wird wunderbar schmecken.
In der Rubrik „Monatsfoto“ stellt reihum jede/r von uns ein besonderes Bild vor und erzählt die dazugehörige Geschichte. Für den jeweiligen Monat dient es als Titelmotiv auf der Startseite. Eine Übersicht über sämtliche bisherigen Monatsfotos ist hier zu finden.