Nur ein Schatten

Es ist Mitte April im Hochschwarzwald. Und dieser trägt seinen Namen völlig zu Recht: Waldig ist es hier, ringsum alte Bäume im schwindenden Licht dieses Frühlingsabends, und die Luft ist so klar und würzig und zugleich mild, wie es eigentlich nur hier im Mittelgebirge auf über eintausend Metern möglich ist. Windstill und auch sonst sehr ruhig ist es an diesem Ort, an den ich mich ganz gezielt begeben habe.

Ich bin nämlich in einem sogenannten „Kleineulenmonitoring“ engagiert, einem ehrenamtlichen Programm zur Suche nach Eulen und Käuzen im Südschwarzwald – mit dem Schwerpunkt auf den beiden kleinsten Eulenarten in unseren Gefilden.
Und während sich der seltene Raufußkauz in diesem Jahr sehr rar macht (ich treffe in meinem Gebiet keinen einzigen an), ist mir mit dem winzigen Sperlingskauz mehr Glück beschieden. Schon zwei Mal konnte ich ihn in diesem Frühjahr hier hören und sehen, alles fein säuberlich im Protokoll vermerkt. Aber ich will natürlich mehr wissen: wo genau ist das Revier, wo sein Zentrum, gibt es ein festes Revierpaar oder ist es vielleicht ein einzelnes, unverpaartes Männchen, das sich mir bisher gezeigt hat?

Ich stehe im Wald und spitze die Ohren. Der Uhrzeit nach ist die (für mich hier nicht sichtbare) Sonne jetzt hinter dem Horizont verschwunden. Nun müsste es eigentlich jeden Moment losgehen. Noch aber geben Singdrosseln, Amseln und Rotkehlchen den Ton an. Gar nicht so einfach, durch ihren lauten Gesang „hindurchzuhören“. Da ist plötzlich ein hoher, durchdringender Pfeifton zu hören, fast eher ein Quietschen – ein weiblicher Sperlingskauz! Mehrmals hintereinander ruft der Vogel, vermutlich um das Männchen herbeizurufen. Die Dame des Hauses ist deutlich größer als ihr Partner im Revier, doch fällt im Wesentlichen ihm die Aufgabe der Nahrungsbeschaffung zu, jedenfalls zur Balz- und Brutzeit. Vielleicht muss er hin und wieder daran erinnert werden, seinen Pflichten nachzukommen…

Wieder und wieder pfeift sie in höchster Tonlage, bis er sich auch endlich regt und mit einem weichen „Düh“ antwortet. So geht es ein paar Mal hin und her, während das Licht immer mehr schwindet. Ein, zwei Mal sehe ich einen fliegenden Vogel in der Luft, noch erkennbar gegen den helleren Abendhimmel. Doch sobald sie im Dickicht der Bäume verschwinden, bin ich wieder ganz auf meinen Hörsinn angewiesen. Das macht mir gar nichts, denn sie sind da, und sie sind zu zweit, und sie tun alles das, was jetzt im Übergang von der Balz- zur Brutzeit auf dem Plan steht.

Ich will schon fast aufbrechen und mich auf den Rückweg machen, da nehme ich plötzlich abermals optisch eine Bewegung wahr, eben noch sichtbar oberhalb der schwarzen Baumsilhouetten. Ein Schatten landet auf dem Ast eines toten Baumes und bleibt sitzen, kurz darauf quietscht es wieder. Das Weibchen ist gelandet!
Dann habe ich die Kamera also doch nicht ganz umsonst mitgenommen.

Das hätte ich mir jetzt nicht besser wünschen können. Und ich stehe auf einem ganz normalen Wanderweg! Ein paar wenige Aufnahmen gelingen mir, dann fliegt der kleine Vogel wieder ab – ein winziger Schatten, aber ein großer Auftritt in diesem wunderbaren Rahmen.

29. April 2025
Sebastian Schröder-Esch
(www.schroeder-esch.de)

PS: Wenn mir an dieser Stelle eine kleine Reminiszenz an das Frühjahr 2023 gestattet ist: Monatsbild Juni 2023.


Entdecke mehr von sogesehen

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Veröffentlicht von Sebastian

Geographer, naturalist and photographer (www.schroeder-esch.de). Based in Germany, but always keen to travel and explore

Ein Kommentar zu “Nur ein Schatten

  1. Wenn ich deinen Artikel lese, Sebastian, bin ich sofort wieder mitten im nächtlichen Wald und sehe und höre diese kleine Eule. Ich durfte dich ja schon das eine oder andere Mal auf so einer abendlichen Tour begleiten und für mich ist es immer wieder ein tolles Erlebnis. 

    Fotografisch ist das allerdings ein echt schwieriges Unterfangen, da es oft schon zu dunkel ist und der winzige Sperlingskauz gerne mal hinter Ästen und Zweigen sitzt. Klasse, dass du ihn so schön frei vor dem noch hellen Abendhimmel gerade noch „erwischt“ hast und Danke, dass du dich ehrenamtlich für diesen tollen Vogel engagierst! 

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..