sogesehen – Monatsfoto Juli

Was zeigt dieses Bild? Eine Landschaft mit Schnee und Eis, karg und unwirtlich, davor eine große Wasserfläche. Menschliche Spuren sind nicht zu sehen, also vielleicht eine unberührte Wildnis? Winter?

Weit gefehlt: Die Aufnahme ist auf Spitzbergen (Svalbard) entstanden, dem zwischen Europa und dem Nordpol gelegenen Archipel. Es ist Mitte Juni, also Frühsommer, doch hier in der Arktis sollte jetzt „eigentlich“ noch deutlich mehr Schnee liegen. Das Wasser im Vordergrund ist der große Isfjord im Westen Spitzbergens, der aber schon seit Jahren nicht mehr zufriert und seinen Namen somit inzwischen eigentlich zu Unrecht trägt.

Die menschlichen Spuren und die Auswirkungen unseres Tuns sind hier eben doch allgegenwärtig und tiefgreifend. An keinem anderen Ort auf der Welt ist in jüngster Vergangenheit die Temperatur im Durchschnitt der einzelnen Jahre derart angestiegen wie auf Svalbard, und zwar mit bald schon zweistelligem Zuwachs. Auch das Wasser erwärmt sich, das Eis schmilzt bzw. entsteht gar nicht erst, was wiederum zu einem sich selbst verstärkenden Effekt der weiteren Erwärmung führt. Es gibt wesentlich mehr Niederschläge als früher, inzwischen oftmals als Regen. Der Permafrostboden taut auf (und gibt klimaschädliches Methan frei!), Berghänge geraten ins Rutschen. Die Inselhauptstadt Longyearbyen wurde seit 2015 mehrfach von Lawinen aus Schnee oder Schlamm heimgesucht, in denen Wohnhäuser zerstört wurden und Menschen ihr Leben verloren haben. Im ebenfalls immer wärmer werdenden Meerwasser ändert sich das Gefüge des Nahrungsnetzes, wobei die langfristigen Folgen noch gar nicht bekannt sind.

Gleichzeitig nimmt der Arktis-Tourismus auf Spitzbergen immer mehr zu (von dem auch ich mit meiner kürzlich unternommenen Reise Teil war, klar). Besucher:innen aus aller Welt kommen in von Jahr zu Jahr steigender Anzahl hierher. Das Motto, wenn auch eher implizit, scheint zu sein: „Last chance to see“. Das gilt natürlich allen voran für die emblematischen Eisbären, aber auch allgemein für schneebedeckte Berge und direkt ins Meer kalbende Gletscher. Der CO2-Ausstoß durch diese Reisen ist beträchtlich, zumal im Grunde auch alles an Konsumgütern und an Infrastruktur per Schiff oder Flugzeug nach Spitzbergen importiert wird.

Wie das wohl alles zusammenhängt und zusammenpasst (oder auch nicht)?

1. Juli 2022
Sebastian Schröder-Esch
(www.schroeder-esch.de)


PS: Wer sich für die hier nur angerissene Thematik interessiert und viele konkrete Belege erfahren möchte, dem sei das Buch „Meine Welt schmilzt“ einer norwegischen Journalistin ans Herz gelegt. Es ist allerdings keine besonders heitere Lektüre.

Veröffentlicht von Sebastian

Geographer, naturalist and photographer (www.schroeder-esch.de). Based in Germany, but always keen to travel and explore

Ein Kommentar zu “sogesehen – Monatsfoto Juli

  1. Ein Monatsfoto Juli aus einem fremden Land, das weckt auf den ersten Blick die Vorfreude auf die kommende Urlaubszeit. Liest man dann deinen Text, Sebastian, merkt man gleich, dass dies kein normaler Reisebericht ist.
    Was ist es denn? Ein Blogbeitrag über Spitzbergen? Nicht wirklich. Über die Erderwärmung? Auch das greift meiner Meinung nach zu kurz. Sebastian, Du hältst uns (und Dir) einen Spiegel vor und beim ersten Durchlesen war ich etwas ratlos. Ich fühlte mich als Leser mit der Abschlussfrage etwas alleine gelassen. Vielleicht habe ich insgeheim gehofft, von Dir einen Lösungsansatz für das Dilemma zu erhalten, vielleicht sogar eine Rechtfertigung für mein eigenes Verhalten. Dadurch, dass Du diese unbequeme Frage umkommentiert lässt, muss ich mich nun selbst damit auseinandersetzen.
    Kürzlich las ich in einem Artikel, dass die Klimakatastrophe nur im Kollektiv bewältigt werden kann. Brennenden Urwälder in Brasilien oder das jüngste Urteil des Supreme Court zeigen mir jedoch, dass wir von einer globalen Strategie leider unendlich weit entfernt sind. Richte ich meinen Blick nach Deutschland sieht es leider nicht besser aus, Wir hatten zwar eine „Klimakanzlerin“, die sich medienwirksam mit rotem Parka vor schmelzenden Gletschern ablichten lies, jedoch auch gleichzeitig die Abkehr von fossilen Brennstoffen massiv bremste. Auch die neusten Entwicklungen Aufgrund der Energiekrise werden dem Klima eher schaden als helfen.
    Verkleinert man den Radius und schaut sich in seiner näheren Umgebung um, ist auch hier keine Klima- Endzeitstimmung zu spüren. Man möchte sich nach den ganzen Corona- Entbehrungen wieder was gönnen, sei es den eigenen Pool im Garten oder die lang ersehnte Fernreise. Wem kann man das verdenken? Was für ein Dilemma! Danke Sebastian für den, zum Nachdenken anregenden Artikel.

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