Jagd – (k)eine Polemik

Früher war so vieles einfacher. Es gab die Guten und die Bösen, klare Feindbilder, keine umständlichen Differenzierungen beim Bilden und Vertreten von Meinungen. Man verortete sich selber politisch links und natürlich progressiv, vorwärtsgewandt und weltoffen, jede Heimattümelei, oder schlimmer: Deutschtümelei war ein Graus und so etwas wie der Inbegriff des Bösen.

Mein früheres Ich hätte gesagt: Kaum etwas bringt alles das besser (also schlimmer) zum Ausdruck als die Jagd.

Nun sind zwischen meinem früheren und meinem heutigen Ich ein paar Jährchen ins Land gegangen, es haben ein paar Begegnungen und Gespräche mit anderen Menschen stattgefunden, ein paar mehr Informationen und Überlegungen haben Eingang in meinen (natürlich noch immer beschränkten) geistigen Horizont gefunden. Und dieses lästige Differenzieren, diese zunehmende Abneigung gegen Schwarz-Weiß-Betrachtungen und vorgefertigte Urteile, auch die Bereitschaft, neue und ungewohnte Perspektiven einzunehmen – sie alle haben sich immer mehr Raum verschafft. Das ist natürlich anstrengend und macht es zunehmend schwerer, liebgewonnene Feindbilder aufrecht zu erhalten.

Und so geht es mir auch mit der Jagd. Wenn ich, wie zurzeit wieder mal sehr regelmäßig, durch unsere Wälder und die Feldflur streife, sieht man so allerlei und stellt so seine Gedanken an.

Noch immer bin ich kein Experte zum Thema „Waidhandwerk“ und kenne viele Details und Zusammenhänge kaum oder gar nicht. Und um es klar zu sagen: Jagdliche Folklore und alle möglichen Rituale und Traditionen (Stichwort: Trophäenjagd) in diesem Bereich sind mir noch immer höchst suspekt, und ich kann ihnen nicht das Geringste abgewinnen. Jedoch leuchten mir immer mehr Gründe dafür ein, warum Menschen Waffen in die Hand nehmen und Tiere wie Rehe, Rothirsche oder Wildschweine erlegen.

Ich selber werde sicherlich nie zum „Waidmann“ werden. Aber ich kenne (und schätze) inzwischen doch eine ganze Reihe von Menschen mit klugen und reflektierten Ansichten, die selbst aktive Jägerinnen oder Jäger sind und dies auch nicht verheimlichen. Und das bleibt nicht ohne Folgen für mein Weltbild und die Meinungen, die sich aus ihm ergeben.

Wie ich inzwischen weiß, gibt es gute ökologische, also naturschutzfachliche Gründe für die Bejagung bestimmter Tierarten. Solange die sogenannten Top-Prädatoren wie Wolf und Luchs (noch) nicht flächendeckend in Deutschland vorkommen, müssen Tierbestände eben durch uns Menschen reguliert werden. Das ist ein gewichtiges Argument für die aktive Ausübung von Jagd. Daneben gibt es aber auch forstliche bzw. forstwirtschaftliche Gründe und sogar solche, die das Tierwohl oder auch ethische und gesundheitliche Aspekte von Fleischkonsum betreffen, und die ich mir ebenfalls immer mehr zu eigen mache. Ich staune inzwischen selber manchmal darüber, wie weit ich mich vom Freund-Feind-Denkschema früherer Jahre entfernt habe…

Und ein Verdacht, den ich schon seit längerer Zeit hege, erhärtet sich immer mehr. Ich unterstelle nämlich, dass ein nicht geringer Teil von Jägerinnen und Jägern einfach den Aufenthalt in der Natur genießt und die Jagd als „Vorwand“ braucht, um stundenlanges Ansitzen draußen zu rechtfertigen… Wer möchte es ihnen verdenken?

29. April 2023
Sebastian Schröder-Esch
(www.schroeder-esch.de)

PS: Ich habe den Hochsitz auf den Fotos nicht umgeschmissen – der lag da schon…

Veröffentlicht von Sebastian

Geographer, naturalist and photographer (www.schroeder-esch.de). Based in Germany, but always keen to travel and explore

3 Kommentare zu „Jagd – (k)eine Polemik

  1. Hi Sebastian. Danke für diesen Artikel. Mir erging es ähnlich wie dir. Heute sehe ich, was die Jagd und die Personen die diese ausüben, viele Dinge anders und auch nicht mehr schwarz weiß. Dein Schlusswort gefällt mir besonders gut 🙂

    Gefällt 1 Person

  2. Hallo Sebastian,
    vielen Dank für Deine wertvollen Gedanken!
    Ja, die Wirklichkeit ist immer vielschichtig, Da sind einfache Antworten zwar bequem, werden aber dieser Vielschichtkeit meist nicht gerecht.
    Als Fotograf weiß man und frau ja auch, daß Schwarz-Weiß-Bilder zwar vieles sehr markant darstellen, dabei aber die eine oder andere Aussage verloren geht.
    Oder, wie Niels Bohr sinngemäß sagte:
    „Um eine Wirklichkeit umfassend zu beschreiben, braucht es zwei einander widersprechende Aussagen, die beide wahr sind.“
    In diesem Sinne, herzliche Grüße vom Oliver

    Gefällt 2 Personen

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