Ostsee, die zweite (Nienhagen)

Die Ostsee, ja die wunderbare Ostsee – wenn sie nur nicht so weit weg wäre! Einmal quer durch die Republik reist man ja nicht mal eben. Vom Südschwarzwald aus ist das Mittelmeer näher als die Baltische See – wenn das mal keine starke Konkurrenz ist… Aber ich sollte mich eigentlich nicht beklagen. Schließlich war es mir vergönnt, nach meinem Besuch auf Zingst und Darß im November 2017 knapp zwei Jahre später wieder hinzufahren.

Es ist also Ende Oktober 2019, und ich bin mit Steffen, Michael und Peter verabredet, um ein paar Tage zum Fotografieren auf Rügen zu verbringen. Steffen und Michael habe ich (sicher kein Zufall!) zuvor auf dem Darß kennengelernt, wir alle teilen die Leidenschaft für die Landschaftsfotografie. Schon damals „geistert“ das Wort vom Gespensterwald durch die Gespräche. Dort müsste man auch mal hin, da ist es so toll, da gibt es einzigartige Fotomotive etc. Ich habe keinerlei Vorstellung davon, wo er liegt, dieser Gespensterwald. Auch auf Rügen? Egal, wofür hat man ortskundige Freunde!

Also treffe ich mich mit Steffen in einem schönen Café in der Lübecker Altstadt, wo wir ein herzhaftes Frühstück zu uns nehmen. Mit seinem Auto fahren wir weiter bis kurz vor Rostock, dann links weg über Bad Doberan in Richtung Küste. Der Gespensterwald, so lerne ich jetzt, liegt nämlich bei Nienhagen, und er hat mit Rügen rein gar nichts zu tun. Aber sehr wohl mit der Ostsee!

Ja, und so laufen wir nun schnurstracks vom geparkten Auto ans Meer vor, Stative geschultert und unsere Fotoapparate schussbereit umgehängt. Die Sonne steht schon recht tief, es ist eine wunderbare frühabendliche Stimmung. Sicherlich hat der Gespensterwald seinen Namen an einem nebligen Tag erhalten, und nicht bei so klarer Sicht wie heute. Aber das stört nicht weiter.

Viele, viele Baumstämme, überwiegend Buchen. Sie stehen in Reih und Glied und sind doch alle irgendwie individuell in ihrer Erscheinung. Je näher sie an der Abbruchkante der Steilküste und damit im Wind stehen (der heute nicht weht), desto bizarrer sind ihre Kronen und Äste geformt.

Und wie so oft, so fällt mir auch hier auf: bunt ist relativ. Man braucht keine jungen Blätter im Mai oder frisches Herbstlaub im Oktober, um Farben im Wald zu entdecken. Lässt man sich darauf ein und wirft Sehgewohnheiten über Bord, so entdeckt man mit einem Mal eine ganz andere Farbigkeit, etwa im sattgrünen Moospolster, das den Waldboden an vielen Stellen bedeckt.

Eigentlich weiß man gar nicht, wo man hinschauen soll und was die besten Fotomotive sind. Es gibt so viel zu sehen und aufzunehmen. Wir sind schätzungsweise zwei Stunden dort, während das Abendlicht immer mehr schwindet. Viel zu kurz eigentlich! Und es ist (mal wieder) faszinierend zu sehen, wie die Farben des Himmels binnen Minuten wechseln, wie sie von den Stämmen der Buchen und anderer Bäume aufgenommen und reflektiert werden und wie sich überhaupt die Stimmung von einer Minute auf die nächste verändert.

Es ist nur eine Stippvisite im Gespensterwald bei Nienhagen, lediglich ein „Stop-over“ auf dem Weg nach Rügen. Aber sie hinterlässt einen starken, bleibenden Eindruck – und macht definitiv Lust auf mehr.

Als die Sonne endgültig verschwunden ist, machen Steffen und ich uns klar, wie weit es noch bis Rügen ist. Schweren Herzens packen wir unsere Siebensachen, steigen ins Auto und verabschieden uns für dieses Mal vom Gespensterwald. Ich bin angefixt und zugleich gespannt, ob Rügen da so ohne weiteres mithalten kann!

Veröffentlicht von Sebastian

Geographer, naturalist and photographer (www.schroeder-esch.de). Based in Germany, but always keen to travel and explore

2 Kommentare zu „Ostsee, die zweite (Nienhagen)

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