Sonnenuntergänge, das abgedroschene Faszinosum

Auf einer Rangliste der langweiligsten, unoriginellsten Fotomotive der Menschheitsgeschichte hätte das Sujet „untergehende Sonne“ gute Aussichten auf den ersten Platz, die Goldmedaille. Als fotografierender Mensch wird man ja auch nicht selten damit aufgezogen, dass man bestimmt etwas so Abgedroschenes und Uninspiriertes wie den Sonnenuntergang in allen erdenklichen Variationen ablichtet und darin vielleicht sogar die Erfüllung seines Lebens findet. Ja, mag sein. Und doch, und doch…

Ich möchte hiermit eine Lanze brechen für den Sonnenuntergang als solches, und als Fotomotiv im besonderen. Ich selber betrachte dieses Schauspiel immer wieder gerne – nicht selten auch ohne Kamera – und versuche auch gerne, es adäquat abzulichten und in Szene zu setzen.

Aber mal ganz allgemein gefragt: Was ist eigentlich der Grund, warum die untergehende Sonne so viele Menschen immer und immer wieder fasziniert? Ein nun wirklich alltägliches (oder besser: allabendliches) Ereignis zieht uns jedes Mal aufs Neue in den Bann, und dabei geht die Anzahl von Fotos – ob analog oder digital – mit einem Sonnenuntergang irgendwo im Bildausschnitt sicherlich in die Milliarden. Also hat man doch eigentlich alles schon mal gesehen, oder nicht?

Preisfrage: Stört der diagonale Halm nun oder bereichert er die Aufnahme? Oder beides?

Aus fotografischer Sicht kann man jetzt natürlich über das besondere, weiche Licht schwadronieren, das uns die tiefstehende Sonne beschert, über die warmen, leuchtenden Farben, die Tiefenwirkung aufgrund der langen Schatten und was nicht alles. Aber das kann doch nicht alles sein.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Kann man diese Feststellung vielleicht auch auf das Ende von etwas erweitern, also hier das Ende eines Tages? Freut man sich schon auf den bevorstehenden neuen Tag (also doch auf den Anfang)? Oder hat es damit zu tun, dass man mit dem Verschwinden der Sonne hinter dem Horizont unwillkürlich zur Ruhe kommt und die Hektik, durch die der Tag vielleicht geprägt war, in den Hintergrund tritt? Ich denke hier auch an die Zeilen der @heimatfotograefin von gestern, auch wenn diese natürlich auf die c-bedingte Zwangspause bezogen sind. Aber auch hier, allabendlich, kommt doch eine Verlangsamung, ja Entschleunigung an die Oberfläche, die Raum schafft für Reflexion und Besinnung. Im Idealfall für die Besinnung auf das Wesentliche.

Also Leute, Ihr habt den Appell vernommen: Schaut Euch die Sonnenuntergänge an, genießt sie, fragt Euch „Was macht der Sonnenuntergang mit mir?“, fotografiert sie, seid dankbar und freut Euch – wenn möglich – auf den nächsten Tag.

Veröffentlicht von Sebastian

Geographer, naturalist and photographer (www.schroeder-esch.de). Based in Germany, but always keen to travel and explore

2 Kommentare zu „Sonnenuntergänge, das abgedroschene Faszinosum

  1. Hallo Sebastian,
    ein Beitrag wie ich ihn mag. Über ein Alltagsthema philosophieren, zum Nachdenken anregen und dann Fotos zeigen, die eben nicht das Klischee bedienen. Sonnenuntergang mit Tele oder als Gegenlicht, sehr schön!
    Zur Preisfrage: Ich tendiere zu „beides“. Sehr schönes Bild und und ohne Halm wäre die linke Seite fast zu leer. Aber wenn man ihn einmal im Blick hat, schaut man immer wieder direkt dort hin….
    Grüße Steffi

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